Sie will
doch nur das Beste – und nervt dabei furchtbar. Die Schwiegermutter hat einen
zweifelhaften Ruf. Aber ist das wirklich ihre Schuld, oder braucht einfach jede
Familie einen Sündenbock? von Rudi Novotny
Zunächst
begriff die junge Mutter nicht. Sie wartete im Supermarkt an der Kasse und
blickte ihre Nachbarin verdutzt an. Zwischen den beiden Frauen stand ein
Kinderwagen und die sehr indiskrete Frage jener Nachbarin: "Von wem ist
dein Kind jetzt eigentlich?"
Das war sehr
unverschämt, dennoch arglos. Hatte die Schwiegermutter der jungen Frau doch
zuvor gegenüber jener Nachbarin allerhand Mutmaßungen angestellt, ihr Sohn sei
nicht der Vater dieses Kindes. Der habe nur ein gutes Herz und halte deshalb
als Versorger her für den Balg der Schwiegertochter, die, nun ja, eine Schlampe
sei. So geht die Geschichte der Schwiegermutter, die sie nicht nur gegenüber
der Nachbarin zum Besten gegeben, sondern allen Bekannten im Ort erzählt hatte.
Allen – außer der Schwiegertochter selbst. Die stellte zu Hause ihren Ehemann
zur Rede, der schließlich eingestand: Auch er hatte es gewusst. Damit war seine
Ehe zu Ende.
An
Schwiegermüttern wie dieser arbeiten sich Ratgeberbücher im Dutzend ab. Unter
Titeln wie Liebe böse Schwiegermutter, Der Tiger und die Schwiegermutter,
Wege aus der Schwiegermutterfalle wird die Mutter des jeweiligen
Ehepartners als Problem diskutiert, so wie schon in den Märchen der Brüder
Grimm – mit dem Unterschied, dass Verbrennen heute keine Lösung mehr ist. Die
böse Schwiegermutter bleibt ein Mythos. Verbandsklammern werden
"Schwiegermütter" genannt, eine Kakteenart trägt den Spitznamen
"Schwiegermutterstuhl", wer zufällig an der spitzen Ecke eines
Tisches zu sitzen kommt, muss – so der Aberglaube – mit "einer bösen
Schwiegermutter" rechnen. Schwiegermutterwitze gibt es ohne Zahl und in
allen Ländern, auch in Andalusien: "Lobe den Brunnen, in den deine
Schwiegermutter gefallen ist, aber schöpfe kein Wasser daraus."
Sind
Schwiegermütter also Drachen? Oder ist es so wie beim Ungeheuer von Loch Ness:
Jeder hat davon gehört, aber keiner hat es persönlich gesehen?
Das Beispiel
vom Anfang dieses Textes ist eine wahre Geschichte. Felicitas Heyne, 48, hat
sie von der Schwiegertochter selbst gehört. Heyne ist Paartherapeutin und Diplom-Psychologin
und versuchte damals, deren Ehe zu retten. Heute lebt Heyne auf Gran Canaria.
Auch sie hat ein Buch über Schwiegermütter geschrieben. Hassgeliebte
Schwiegermutter.
DIE ZEIT: Frau Heyne, die böse
Schwiegermutter ist ein Mythos. Ist sie auch der Normalfall?
Felicitas
Heyne: Nein, die
meisten Schwiegermütter reden bloß überall rein. Ob das jetzt Hausarbeit ist
oder Kindererziehung. Dazu kommen ständige Anrufe und Besuche. Da geht es um
Ungeschicklichkeit, Temperamentsunterschiede und ganz häufig um Einsamkeit.
ZEIT: Über welche Art Frauen reden wir
hier?
Heyne: Über jene, die in ihrem Leben den
Akzent auf die Familie gelegt haben und im Muttersein aufgegangen sind. Bei
diesen Frauen entsteht ein Riesenloch, wenn der Sohn das Haus verlässt. Der
erste Halt, der sich anbietet, ist die junge Familie. Und die Böse, die den
Sohn wegnimmt und vereinnahmt, das ist im Zweifel die Schwiegertochter.
ZEIT: Die Schwiegermutter fühlt sich
nutzlos?
Heyne: Ja. Deshalb beginnt sie zu nerven.
Wenn Kinder nicht beachtet werden, fangen sie an, Tiere zu quälen. Keiner sagt:
Das Kind ist böse. Sondern man versucht es zu verstehen. So sollte es auch die
Schwiegertochter bei der Schwiegermutter halten.
ZEIT: Was ist mit den Schwiegersöhnen?
Heyne: Die haben weniger Probleme. Das
liegt an den Rollenbildern. Hausarbeit und Familie sind leider meist
Frauensache. Schwiegermütter können sich also direkt mit der Schwiegertochter
vergleichen, und die beiden haben im Alltag mehr Berührungspunkte. Der
Schwiegersohn geht ins Büro und sieht seine Schwiegermutter an Weihnachten, an
Geburtstagen und bei Tante Hildes Hochzeit.
Übermütter,
die Angst haben, ohne Aufgabe zu sein, und deshalb ihre Söhne nicht loslassen
können. Zahlen, wie viele Schwiegertöchter von solchen Frauen genervt werden,
gibt es kaum. Aber die Ergebnisse, die es gibt, sind sich ähnlich. So fand vor
einigen Jahren eine repräsentative Umfrage heraus, dass 28 Prozent der
Ehefrauen unter ihrer Schwiegermutter leiden. Bei jeder achten Scheidung war
sie der Trennungsgrund. Und in einer weiteren Umfrage wünschten sich 19 Prozent
der Ehefrauen eine andere Schwiegermutter.
Das Leiden
auf dem Land ist tendenziell größer. Dort sind viele Betriebe
Familienunternehmen, junge Frauen heiraten in eine Firma ein, und junge Ehepaare
bauen häufig auf dem Grundstück der Eltern. Beste Voraussetzungen für ein
Drama, das seit Jahrhunderten aufgeführt wird und das nach Meinung von
Sozialwissenschaftlern auch dem Mythos von der bösen Schwiegermutter zugrunde
liegt.
Denn im
Mittelalter zogen verheiratete Frauen in den Haushalt der Schwiegereltern, wo
die Schwiegermutter als Lehrmeisterin und Respektsperson wirkte. Diese
Hierarchie sicherte das Überleben der Familie. Sie war obendrein durch das
biblische Gebot, Vater und Mutter zu ehren, legitimiert, da wurde im
Mittelalter kein Unterschied gemacht zwischen Eltern, Stiefeltern und
Schwiegereltern.
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