Wir dachten,
sie wäre ausgestorben: die böse Schwiegermutter. Tatsächlich ist sie
quietschfidel und macht das Leben so mancher Ehefrau zur Hölle. Vier Opfer
erzählen.
Wenn die
Schwiegermutter zu Besuch kommt, kippt Laura vorher zwei Glas Rotwein. «Sonst
halte ich die Hexe nicht aus», sagt sie und zitiert ein Bonmot, über das sie
schon lange nicht mehr lachen kann: «Auf in den Kampf, die Schwiegermutter
naht. Siegesgewiss klappert ihr Gebiss.» Das letzte Mal sei die Schwiegermutter
ins Wohnzimmer getreten, habe den Blick schweifen lassen und dann ausgerufen:
«Jesses, Laura, die Vorhänge müssen dringend gewaschen werden!» Dann habe sie
ihren Sohn umarmt und gesäuselt: «Schatz, ich habe dir deinen Lieblingskuchen
gebacken.» Zu Laura gewandt: «Hast du das Rezept? Ich schreibs dir gleich auf!»
Wie ein penetranter Chef
Laura rollt
mit den Augen. Sie sagt: «Es gibt Momente, da wünsche ich mir, dass sie unter
der Erde liegt. Ich schäme mich, aber mein Leben wäre so unendlich viel
einfacher ohne sie.» Es gab nie den grossen Skandal. Es
waren immer
Kleinigkeiten. Maliziöse Bemerkungen, Sticheleien. Einzeln wirken sie banal, in
der Summe jedoch haben sie Laura schon an den Rand eines Nervenzusammenbruchs
gebracht. «Meine Schwiegermutter ist wie ein penetranter Chef, der einen
konstant überwacht und kritisiert.»
Laura ist
ein harmoniebedürftiger Mensch. Sie will es ihrer Schwiegermutter recht machen,
ihr gefallen. «Aber ich bin ihr nicht gut genug. Die Ablehnung tut weh.» Die
Mutter ihres Mannes machte nie einen Hehl daraus, dass sie Laura nicht mag. Als
diese bereits schwanger war, verwendete sie noch immer ein Foto ihres Sohnes
und seiner Ex als Bildschirmschoner. «Du hast immer so nette Freundinnen
nachhause gebracht», soll sie mal zu ihm gesagt haben.
Trotzdem war
sie die Erste, die ihren Enkel in die Arme nehmen wollte: Vier Stunden nach der
Geburt stand sie im Spitalzimmer – unangekündigt. Und alles, was sie ihrer
erschöpften Schwiegertochter zu sagen hatte, war: «Du siehst ja grauenhaft
aus.»
Die Schwiegermutter als Scheidungsgrund
Die böse
Schwiegermutter – ein Mythos? Weit gefehlt. Tatsächlich ist sie putzmunter und
macht das Leben vieler Ehefrauen zur Hölle. Zweifellos gibt es tolle
Schwiegermütter. Doch die seien in der Minderheit, behauptet die britische
Soziologin Terri Apter: Sie fand heraus, dass fast zwei Drittel aller Frauen
unter ihrer Schwiegermutter leiden. Bei sieben Prozent der Scheidungen wird sie
als Grund angegeben. Und sie hat es sogar auf die internationale Stressskala
geschafft: «Stress mit der angeheirateten Verwandtschaft» rangiert auf Platz 24
von 43 Gründen.
Es gibt
Selbsthilfeforen im Internet, wo geplagte Schwiegertöchter ihr Leid klagen. Die
Anekdoten reichen vom Öffnen der Post bis zum Durchwühlen des Abfalls. Da
werden Szenen beschrieben, wie man sie nur aus dem Film «Monster-in-Law» mit
Jane Fonda kannte. Auch die Wissenschaft nimmt sich der Problematik an: Die
deutsche Psychologin Felicitas Heyne hat für ihr Buch «Hassgeliebte
Schwiegermütter» die Spezies in fünf Kategorien eingeteilt: die Tyrannosaura,
die Auster, die Meckerziege, die Intrigenspinne und das Klammeräffchen.
Kann es denn
wirklich so schlimm sein? «Früher habe ich mich gewundert, warum alle Frauen
über ihre Schwiegermutter lästern», sagt Esther. Heute wisse sie: Die Beziehung
ist wirklich kompliziert. Für diese Reportage wurden vier Frauen befragt, die
wegen ihrer Schwiegermutter fast verzweifeln. Alle sind verheiratet, zwischen
30 und 45 Jahre alt. Alle wollen anonym bleiben.
Sie kauft ihm Unterhosen
Ihre
Schwiegermutter sei kei Bösi, sagt Esther. Aber eine Nervensäge, die dauernd in
ihr Leben eingreife. Beispiele? Kann Esther stundenlang erzählen. Die
Schwiegermutter ist Dauergast in ihrer Wohnung. Sie verstellt die Möbel («So
siehts doch schöner aus!») und ordnet die Bibliothek neu («Das war ein totales
Chrüsimüsi!»). Gerne belehrt sie die Schwiegertochter, was sie ihrem Mann zu
kochen habe und dass sie das Gemüse immer ganz klein schneiden und unter die
Sauce mischen müsse, damit der Filius – ein Gemüseverächter – ja genug Vitamine
bekomme. Und natürlich kauft sie ihm bis heute neue Unterhosen.
Esthers
Lieblingsanekdote: An einem Sonntagmorgen stand Frau Schwiegermutter im
Schlafzimmer ihres Sohnes. Dieser wohnte noch zuhause, und Esther hatte bei ihm
übernachtet. Die Schwiegermutter stand in der Tür und krähte: «Guten Morgen,
ihr Schlafmützen!» Esther und ihr Freund hatten nicht nur einen Kater, sondern
auch eine heisse Nacht hinter sich. Die Schwiegermutter setzte sich aufs Bett
und begann, die Füsse ihres Sohnes zu massieren. Esther lag daneben unter der
Bettdecke, splitternackt. Die Schwiegermutter schaute sie an: «Hast du gut
geschlafen?»
Irgendwann
habe die Schwiegermutter angefangen, sie zu kopieren, erzählt Esther. Sie
kaufte denselben Schmuck, einfach grösser und teurer. «Und als ich mir Leggins
mit Nieten gekauft habe, ging es keine Woche, da trug sie auch welche.»
Der Wunsch nach Enkelkindern
Trotzdem
wünscht sie sich nichts sehnlicher als ein Enkelkind. «Sie geht mit völliger
Selbstverständlichkeit davon aus, dass wir Kinder wollen», sagt Esther. Jedes
Mal, wenn man miteinander telefoniere, frage sie: «Ist es schon so weit?»
Einmal, nachdem die Schwiegermutter bei ihnen zuhause auf der Toilette war,
sagte sie vorwurfsvoll: «Du nimmst ja noch immer die Pille!» Die Packung lag im
Spiegelschrank.
Die böse
Schwiegermutter gibt es in jedem Kulturkreis, auf jedem Kontinent, in jeder
Epoche. Die Churer Psychologin und Autorin Christina Casanova sagt: «Ob es
Konflikte gibt zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter, hängt vor allem
davon ab, welche Rolle der Sohn im Leben seiner Mutter einnimmt.» Ist er der
einzige Sohn? Lastet auf ihm die Hypothek des Erstgeborenen? Oder war er eine Art
Partnerersatz, weil der Ehemann immer unterwegs war?
Christina
Casanova erklärt: «Wenn der Sohn der Kronprinz im Leben der Mutter ist, sieht
sie die neue Frau als Konkurrenz.» Das Problem entschärfen könne nur der Sohn
selber. «Setzt er seiner Mutter Grenzen? Oder hält er sich aus allem raus?» Der
Frust der Schwiegertöchter sei ja, dass sich der Ehemann meist nicht hinter sie
stelle und das Verhalten der Mutter toleriere.
Gemeinsame Ferien
Eliane hatte
Glück: Ihr Mann gab ihr Rückendeckung. Dennoch sagt sie: «Es ist nicht
auszuhalten mit seiner Mutter.» Der Kontakt sei ihr viel zu eng. Man gehe sogar
zusammen in die Ferien. «Trotzdem wirft sie mir vor, wir würden uns zu wenig
sehen.» Auch die Kinder seien ein grosses Potenzial für Lämpe, vor allem, wenn
die Schwiegermutter regelmässig hüte. «Sie sorgt sich rührend um sie.» Sie sei
dankbar, dass die Schwiegermutter mithelfe. Aber ihre besserwisserischen
Erziehungstipps könne sie nicht mehr hören.
Da ist die
Episode, als das Baby ein halbes Jahr alt war. Schwiegermutter: «Er hat in die
Windel gemacht.» – Eliane: «Nein, das rieche ich.» – Schwiegermutter: «Du hast
eine schlechte Nase. Geh nachschauen.» Natürlich war die Windel leer.
Heute nerven
Schwiegermütter. Früher brachten sie manchmal sogar den Tod. Eine Studie über
ostfriesische Landarbeitersippen aus dem 18. und 19. Jahrhundert hat gezeigt,
dass die Kindersterblichkeit und das Risiko einer Totgeburt grösser war, wenn
die Grossmutter väterlicherseits in der Nachbarschaft wohnte. Der Grund, so
Evolutionsbiologen, liege in der Vaterschaftsunsicherheit: Mama’s Baby, Papa’s
Maybe. Wie weiss die Mutter des Stammhalters, ob ihrem Clan nicht ein
Kuckuckskind untergejubelt wurde?
Geschrei, Tränen, Kontaktabbruch
Exakt dies
wurde Barbara unterstellt. Als sie zu ihrem Kind sagte: «Lueg, s Grossmami isch
da!», schaute diese sie schräg an und meinte: «Bin ich das wirklich?» Sie wisse
ja nicht, mit wem sie es treibe, während der Mann auf Geschäftsreise sei. Es
folgten ein Mordskrach, Geschrei, Tränen, Kontaktabbruch. Aber nie eine
Entschuldigung. Rückblickend sagt Barbara: «Ich glaube nicht, dass sie es ernst
gemeint hat. Sie wollte mich nur verletzen.» Mittlerweile sind drei Kinder da.
Und die Schwiegermutter heisst familienintern nur noch Schwiegermonster. «Sogar
mein Mann nennt sie so», sagt Barbara.
Barbara hat
all ihre Kinder gestillt – aber nie in Gegenwart des Schwiegermonsters. Dieses
sagte: «Stillen ist gruusig. Es stört mich und auch meinen Sohn – er sagt es
dir nur nicht.» Als Barbara das Gespräch mit der Schwiegermutter suchte, meinte
diese nur: «In unserer Familie gibt es Regeln, und an die hast du dich zu
halten.» Die Schwiegermutter selber hält sich aber an gar keine Regeln. «Sie
setzt unsere Kinder schon am Morgen vor den Fernseher und lässt sie mit dem
Handy spielen.»
Konsequent
hintergeht sie die Autorität der Schwiegertochter. Erteilt diese ein
Dessertverbot, weil die Kinder das Gemüse nicht essen wollen, steckt die
Schwiegermutter jedem ein Stück Kuchen zu. Barbara: «Und das in meinem Haus!»
Barbara sagt: «Ich will, dass meine Kinder Kontakt haben zu den Grosseltern.»
Aber sie selber würde die Hexe am liebsten nicht mehr sehen. «Wenn ich merke,
dass der letzte Besuch bei ihr eine Weile her und der nächste fällig ist, zieht
sich alles in mir zusammen.» Wenn sie dann in der Agenda sehe, dass die
nächsten zwei Monate ausgebucht sind und ein Besuch absolut unmöglich, dann
gehe es ihr richtig gut. «Zwei Monate ohne Schwiegermonster – göttlich!»
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