Er weiß
nichts. Kein Ergebnis, keine Tabelle, keine Transfernews. Einfach nichts. Seit
Freitag letzter Woche lebt Ben Redelings im Fußball-Nirwana. 31 Tage. Wie sich
das genau anfühlt ohne Fußball, erzählt er uns am besten selbst!
Die ersten
fünf Tage des Experiments sind rum und das Wichtigste gleich vorweg: Ja, ich
habe tatsächlich nichts erfahren beziehungsweise fast nichts – aber dazu später
mehr! Ich gebe aber gerne zu, das war nicht immer ganz einfach. Ihr müsst euch
das ganz plastisch vorstellen: Ich bin wahrscheinlich der einzige Fußballfan in
ganz Deutschland, der in diesem Augenblick nicht das CL-Ergebnis von gestern Abend
kennt!
"Fußball
ist nicht das Wichtigste"
Ben
Redelings, Jahrgang
1975, sagt: "Ich lese eigentlich alles, was es zur Bundesliga gibt."
Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und kümmert sich seit 15
Jahren hauptberuflich um alles, was mit Fußball zu tun hat. Seine kulturellen
Abende sind legendär. Für n-tv.de
schreibt er alle zwei Wochen mittwochs die spannendsten und lustigsten
Geschichten auf - eigentlich. Seit dem 1. Mai befindet sich der "Fußball-Nerd"
in einem besonders nerdigen Selbstversuch: 31 Tage Enthaltsamkeit, 31 Tage
Fußball-Fasten. Wie das funktioniert und ob überhaupt - davon berichtet er
noch bis zum Ende des Monats jede Woche in seiner Kolumne.
Wem das
schon panne erscheint, der wird nach dem nächsten Satz bestürzt die Hände über
dem Kopf zusammenschlagen. Bis zum frühen gestrigen Abend bin ich nämlich sogar
davon ausgegangen, dass nicht heute, sondern gestern bereits die Partie
Barcelona gegen den FC Bayern München gespielt worden ist. Erst ein Satz meines
Vaters hat mich stutzen lassen. Man sieht: Mittlerweile habe ich eine Art
Trancezustand erreicht. Die brodelnde News-Welt da draußen und meine eigene
kleine Welt im Kopf!
Als ich vier
Tage vor dem Beginn des Experiments die Katze aus dem Sack gelassen habe, sind
die Reaktionen im Netz eindeutig gewesen: "Never", "Ich halte
das für verrückt", "Für das, was du vor hast, hat der Fußballgott die
Sommerpause erfunden", "Das mit dem Fußball-Fasten nehme ich mir nach
den meisten VfL-Spielen auch vor, aber dann kommt irgendwann wieder das
Wochenende ... der Rest ist Geschichte"!
Das waren
die harmloseren Reaktionen. Eine junge Dame wurde konkreter: "Bist du
irre? Du wirst schleichend unausstehlich werden, unruhig, deine Kinder grundlos
anschreien, schwitzen, übellaunig sein und zu guter Letzt wird deine Frau dich
wegen all dem verlassen. Das will doch alles keiner. Ben, du musst es endlich
einsehen: du BIST (so wie die meisten hier) ein Junkie. Und es gibt nur eins,
was schlimmer ist, als Junkies: Junkies auf Entzug. Amen."
Absolutes
Kneipenverbot!
Und wieder
jemand anderes meinte: "Och neee ... das klappt doch nie; in der
Sommerpause: ok; in der Winterpause: machbar ... aber in der entscheidenden
Saisonphase? Spätestens bei den CL-Halbfinalspielen muss man doch quasi mit
geschlossenen Augen an den Zeitungshändlern vorbei; darf das Internet nicht
mehr nutzen und keine Kneipe betreten ...!"
Die Realität
sieht unterdessen noch weit dramatischer aus. Mittlerweile lese ich auch keine
Zeitungen mehr. Vorgesehen war eigentlich, dass meine Frau die tägliche Gazette
bearbeitet und alle Fußballinhalte entfernt. Das hat sie auch sehr gewissenhaft
gemacht. So genau, dass ich am Samstag statt einer Schnitte gleich drei zum
Frühstück gegessen habe, weil ich so lange auf die morgendlichen Nachrichten
warten musste. Als sie dann schließlich die zerfledderte Zeitung auf den Tisch
legte, hatte ich eigentlich schon keine Lust mehr, darin zu lesen.
Habe ich
dann auch nicht, weil ich direkt auf dem Titel oben links den Kopf von Clemens
Tönnies erspähte. Ohnehin kein prickelnder Anblick, aber in diesem Fall
natürlich ein absolutes No-Go. Irgendwas von "Radikaler Umbau auf
Schalke" las ich. Das war für mich keine echte Neuigkeit, hatte ich davon
doch schon am letzten Tag vor dem Experiment im Internet erfahren.
Am Montag
dann ein neuer Versuch. Diesmal hatte der Schwiegervater die Zeitung akribisch
bearbeitet. Voller Vorfreude schlug ich sie in der Mittagspause auf und
entdeckte auf Seite 2, ganz unten rechts, auf den allerersten Blick erneut
einen kleinen Hinweis auf einen Kommentar, Leserbrief oder Online-Artikel
(genau kann ich das nicht sagen, weil ich die Zeitung sofort wieder zuschlug)
über den radikalen Umbau-Meister Tönnies. Nach einer unruhigen Nacht entschied
ich: Auch Zeitungen sind ab sofort tabu. Das Risiko, dass eine kleine,
übersehene Notiz meinen ganzen Plan über den Haufen werfen könnte, ist mir zu
hoch.
Der
komplette Horror
Die ersten
vier Tage waren ohnehin der komplette Horror. Ihr könnt euch das in etwa so
vorstellen: Man hat die ganze Zeit über dieses schizophrene Gefühl, man würde
etwas Verbotenes tun. Man würde quasi auf frischer Tat überwacht und müsste
jeden Moment damit rechnen, ertappt zu werden. Und das ist nun wirklich äußerst
schizophren, da es ja eigentlich genau umgekehrt ist: Man hat Sorge, etwas
"Verbotenes" zu tun und achtet penibel und übervorsichtig darauf,
eben dies nicht zu machen. Im Grunde ist man ständig auf der Flucht, aus Angst
etwas Falsches zu tun; sprich etwas mitzubekommen, von dem man eigentlich
nichts wissen will und darf. Das völlig Verwirrende daran: Am Ende ist man auch
noch der Einzige, der nichts weiß. Ein absurdes Spiel!
Das wird
einem vor allem dann bewusst, wenn die eigene Schwiegermutter grinsend vor
einem steht und fragt: "Und du willst wirklich nicht wissen, wie der VfL
gestern gespielt hat?" Natürlich WILL ich das wissen, aber ich DARF es
nicht wissen. Das ist ein feiner, aber entscheidender Unterschied. Und ganz
nebenbei: Ja, liebe Schwiegermutter, ich hätte nie gedacht, dass einmal der Tag
kommen wird, an dem du mehr Fußballwissen hast als ich. Ich kann dir nur sagen:
Es ist kein guter Tag gewesen!
Ich werde
häufig gefragt, warum ich das Ganze überhaupt mache. Darauf gäbe es
wahrscheinlich hunderte legitimer Antworten, aber mittlerweile denke ich: Den wahren
Grund werde ich erst am Ende der 31 Tage erfahren. Auf jeden Fall ist es neben
den nachdenklichen Momenten auch ein Experiment mit vielen komischen und
kuriosen Augenblicken. Beim nächsten Mal erzähle ich euch davon, wie ich mich
aus Angst vor Informationen völlig panisch im Klo verbarrikadierte und warum
die neongrünen Kopfhörer meiner Kinder mir im allerletzten Moment das
Experiment retteten. Bis dahin denkt immer daran: Fußball ist Leben, Fußball
ist verrückt!
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